Beschluß
5
VG 4624/2000
Aktenzeichen
In
der Verwaltungsrechtssache
1.
2.
3.
Antragsteller,
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte
Michael Günther, Hans-Gerd Heidel,
Dr.
Ulrich Wollenteit, Martin Hack,
Mittelweg
150, 20148 Hamburg, G.K. 177,
Az:
00/1184V/H,
g
e g e n
Freie
und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Arbeit,
Gesundheit und Soziales Amt für Verwaltung - Rechtsabteilung -
Hamburger
Straße 47, 22083 Hamburg,
Az.:
VO/Ky00/13743,
Antragsgegnerin,
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte
Hasche, Sigle, Eschenlohr, Peltzer,
Stadthausbrücke
1-3, 20355 Hamburg, G.K. 180,
Az:
VO/Ky 00/137/43,
hat
das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 5, am 12.12.2000 durch
die Richterin am Verwaltungsgericht
Abayan
als Vorsitzende,
die Richterin am Verwaltungsgericht
Büschgens,
den Richter am Verwaltungsgericht
Dr. Jackisch
beschlossen:
Der
Antrag wird abgelehnt.
Die
Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen
diesen Beschluß kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe
schriftlich die Zulassung der Beschwerde beantragt werden.
Der
Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Hamburg, Nagelsweg 37,
20097 Hamburg, zu stellen. Er muß den angegriffenen
Beschluß bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus
denen die Beschwerde zuzulassen ist, darzulegen.
Die
Beschwerde ist nur zuzulassen,
wenn
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen
wenn
die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche
Schwierigkeiten aufweist
wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
wenn
der Beschluß von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts,
des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des
Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht oder
wenn
ein der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die
Entscheidung beruhen kann.
Der
Antrag kann wirksam nur durch einen bevollmächtigten
Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule,
für juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden
auch durch Bedienstete mit der Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst gestellt werden. Daneben
sind in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des
Schwerbehindertenrechts sowie der damit in Zusammenhang stehenden
Angelegenheiten des Sozialhilferechts, in Angelegenheiten der
Beamten und der damit in Zusammenhang stehenden
Sozialangelegenheiten sowie in Personalvertretungsangelegenheiten
auch die in § 67 Abs. 1 Satz 4 und 6 VwG0 genannten
bevollmächtigten Angehörigen von Interessenorganisationen und
in Abgabenangelegenheiten auch bevollmächtigte Steuerberater und
Wirtschaftsprüfer zur Vertretung vor dem Oberverwaltungsgericht
zugelassen.
Eine
Beschwerde in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen
ist nur gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
400,--DM übersteigt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller wollen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erreichen, daß die Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Hunden und über das Halten von Hunden (Hundeverordnung) vom 18. Juli 2000 bis zur Entscheidung in der Hauptsache keine Rechtswirkungen gegen sie entfaltet.
Die Antragstellerin zu 1) ist Halterin eines gezüchteten reinrassigen American Pitbull Terriers mit Namen B, der 4 Jahre alt und weiblich ist. Sie betreibt eine Hundeschule. Der Hund lebt seit Geburt bei der Antragstellerin im Haushalt ihrer Familie, zu dem 2 Kinder, Katzen und Zwerghunde gehören. Der Hund sei haftpflichtversichert und zu keiner Zeit aggressiv aufgefallen.
Der
Antragsteller zu 2) und 3) sind Halter eines vierjährigen
American Staffordshire Terriers weiblichen Geschlechts mit dem
Namen F. Der Hund hat ein Jahr lang eine Hundeschule
besucht und ist kastriert. Der Hund ist
haftpflichtversichert, er sei freundlich und begleite seine
Halter seit Anbeginn regelmäßig ins Büro.
Die Antragsteller begründen ihren Antrag damit, daß es notwendig sei, den Zustand hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Fragen bis zu einer Entscheidung über die vorliegende Feststellungsklage vorläufig zu regeln. Eine vorläufige Regelung sei angesichts von § 1 1 Abs. 2 der Hundeverordnung notwendig, da die Antragsteller ansonsten bis spätestens Ende November die Haltungsgenehmigung beantragen müßten und gegebenenfalls mit der Untersagung und Einziehung des Hundes auf Grundlage von § 7 der Hundeverordnung zu rechnen hätten.
Die
Antragstellerin zu 1) betont, daß die Erlaubniserteilung in
ihrem Falle dazu führe, daß sie ihren Hund sterilisieren
müßte. Dieser Sterilisationszwang schaffe vollendete
Tatsachen, die auch im Falle eines Obsiegens im Klagverfahren
nicht mehr korrigierbar seien. Die Antragstellerin lehne
eine Sterilisation aus grundsätzlichen Erwägungen ab. 80
Prozent der sterilisierten weiblichen Hunde wiesen mit
fortschreitendem Alter aufgrund der Stehlisation erhebliche
Gesundheitsbeschwerden auf, die sich insbesondere in einer
Inkontinenz äußerten. Oberdies seien Fälle bekannt, in
denen nach der Erlaubnisverweigerung Untersagungsverfügungen
unter Fristsetzung von 7 Tagen ergangen seien binnen derer die
Betroffenen nachzuweisen gehabt hätten, daß sie die
betreffenden Hunde nicht mehr halten.
Es
habe sich überdies inzwischen herausgestellt, daß der Maulkorb-
und Leinenzwang mit schwerwiegenden Nachteilen für die Tiere
verbunden sei. Ein allgemeiner Leinen- und Maulkorbzwang
sei als unvereinbar mit dem Tierschutzrecht anzusehen.
Die
hamburgische Hundeverordnung sei verfassungswidrig. Insbesondere
ergäbe sich dies aus der der Verordnung zugrundeliegenden
Rasseliste. Die Gefährlichkeit von Hunden sei nicht anhand
von Hunderassen festzustellen. Dies verstoße gegen den
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Die
Hundeverordnung beinhalte auch eine unzulässige Inhalts- und
Schrankenbestimmung des Eigentums. Die dort normierte
unwiderlegliche Vermutung der Gefährlichkeit von Hunden der
Kategorie 1 verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Möglichkeit eines
Negativzeugnisses als milderes Mittel zur Gefahrenabwehr nicht
auch auf die Hunde der Kategorie 1 zugelassen sei. Der
verordnete Leinen- und Maulkorbzwang kollidiere mit dem
Tierschutzrecht. Das Tierschutzgesetz fordere eine
artgemäße Haltung, die mit dem allgemeinen Leinen- und
Maulkorbzwang nicht möglich sei, da sie die notwendige
Bewegungsfreiheit des Tieres gravierend einschränke. Soziale
Kontakte zu anderen Hunden seien hierdurch verhindert, auch sei
das für das Tier lebensnotwendige Hecheln erheblich behindert.
Auch das Warnschildgebot könne keinen Bestand haben. Es stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Hundehalter seien hierdurch gezwungen, sich als Halter eines gefährlichen Hundes zu "outen". Die derzeit angeheizte öffentliche Stimmung habe für die Antragsteller hierdurch verheerende und stigmatisierende Wirkung, sie seien in ihrem Persönlichkeitsrecht empfindlich getroffen, dies umsomehr als es sich bei ihren um friedliche und harmlose Hunde handele.
Auch ein Anordnungsgrund liege vor. Der Leinen- und Maulkorbzwang könne schwerwiegende Verhaltensstörungen nach sich ziehen. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei ein gravierender Schaden zu befürchten und nicht zu tolerieren.
Die
Antragsteller beantragen, daß
1.
sie ihre Hunde auch ohne Erlaubnis im Sinne von § 2 Abs. 1
Hundeverordnung
halten können,
2. sie einstweilen ihre Hunde auch außerhalb ihres eingefriedeten Besitztums unangeleint und ohne Maulkorb ausführen dürfen,
3. sie einstweilen nicht verpflichtet sind, ein Warnschild im Sinne von § 4 Abs. 4 der Hundeverordnung anzubringen.
Die
Antragsgegnerin beantragt,
den
Antrag abzulehnen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist sie auf einen Beschluß der Kammer 3 des angerufenen Gerichtes. Danach seien von den betroffenen Rassen in jüngster Vergangenheit schwerwiegende Gefahren ausgegangen. Der Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit eines Menschen müßte gegenüber den Interessen der Hundehalter oberste Priorität genießen, so daß jedenfalls bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens die Nachteile hingenommen werden müßten, die mit der strikten Befolgung der in der Hundeverordnung geregelten Verhaltensanordnungen verbunden seien. Ergänzend weist sie noch daraufhin, daß der Antrag auch nach § 123 Abs. 5 VwG0 unzulässig sei. Wegen des Subsidiaritätsprinzips von § 123 zu § 80 VwGO seien die Antragsteller darauf zu verweisen, den Erlaß einer auf die Hundeverordnung gestützten Verfügung der Antragsgegnerin abzuwarten und erst dagegen Rechtsmittel einzulegen bzw. das Gericht ggfls. dann um einstweiligen Rechtsschutz zu ersuchen.
Die
Antragsteller seien auch darauf zu verweisen, zunächst den
Erlaubnisantrag für das Halten der Hunde zu stellen. Es
sei, da der Antrag bisher nicht gestellt worden sei, zur Zeit gar
nicht erkennbar, ob den Antragstellern das Halten der Hunde
verweigert werden würde. Da der Leinen- und Maulkorbzwang
nur außerhalb des eingefriedeten Besitztums zum Tragen komme,
der Hund aber in Phasen des Aufenthalts im privaten Umfeld keinen
Maulkorb tragen müsse, seien die Nachteile, die sich durch diese
Pflicht für die Antragsteller ergäben in Relation zum Schutz
von Leben und Gesundheit der Bevölkerung hinzunehmen. Auch
das Warnschild sei bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
aufzustellen. Auch hier gelte ein Vorrang von Leben und
Gesundheit der Bevölkerung vor den Interessen der Antragsteller.
II.
Den
Anträgen ist der Erfolg zu versagen, denn sie sind unbegründet.
Die von § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Wege der Sicherungsanordnung
vorausgesetzte Gefahr, daß durch eine Veränderung des
bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der
Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte,
vermag das Gericht hier nicht zu erkennen. Zwar dürfte ein
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.
1 VwGO wegen des grundgesetzlich postulierten Gebots des
effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) hier grundsätzlich
zulässig sein, zu fordern ist jedoch, daß ohne den vorläufigen
gerichtlichen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher
Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der
Lage wäre (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19.
Oktober 19 Nation 70 - 2 BvR 42/76, E 46, 166;
Landessozialgericht Niedersachsen Beschluß vom 16. Mai
1997, L 5 Ka 12/97 eR, beide in juris). Dabei ist ein
besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn eine gesetzliche
Regelung außer Vollzug gesetzt werden soll (vgl. BVerfG,
Beschluß vom 24. Juni 1997,1 BvR 2306/96,E 96,120, 128f;
Beschluß vom 9. September 1999 2 BvR 1646/98, beide in juris).
Dies ist vorliegend, wo die Antragsteller faktisch die Anwendung
der Regelungen der hamburgischen Hundeverordnung gegen sich
ausgesetzt sehen wollen, der Fall. Die von den
Antragstellern bei Vollzug der Ge-und Verbote der Hundeverordnung
zu erwartenden Nachteile unter besonderer Berücksichtigung der
Schaffung vollendeter Tatsachen sind ins Verhältnis zu setzen zu
den bei Nichtbefolgung der Regeln aus der Hundeverordnung zu
befürchtenden Gefahren. Bei dieser Abwägung haben die
Interessen der Antragsteller vor den Interessen der Bevölkerung,
vor gefährlichen Hunden geschützt zu werden, bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache zurückzustehen.
Die Antragsteller tragen vor, ihre Hunde seien freundlich und friedlich, zu keiner Zeit seien von ihnen Gefahren ausgegangen Bei Anwendung der Gebote aus der Hundeverordnung insbesondere des Leinen - und Maulkorbzwangs sei mit irreparablen Schädigungen physischer und psychischer Art zu rechnen. Das einstweilige Anordnungsverfahren ist weder geeignet Beurteilungen über die Gefährlichkeit der hier betroffenen Hunde noch eine abschließende Beurteilung darüber herbeizuführen, ob und in welcher Weise der Leinen - und Maulkorbzwang das Wesen eines Hundes verändert oder ihn physisch und/oder psychisch schädigt, noch ist dies zu Entscheidung des vorliegenden Antrages nötig. § 4 Abs. 1
Hundeverordnung
ist eine Reaktion auf die statistisch belegte Erkenntnis, daß
Hunde bestimmter Rassen mit wachsender Tendenz in den letzten
Jahren häufiger als Hunde anderer Rassen dadurch aufgefallen
sind, daß sie Menschen angefallen und dabei gesundheitlich zum
Teil schwer verletzt bzw. im Einzelfall sogar getötet haben.
Eine Abwägung der besonders geschützten Rechtsgüter Leben und
Gesundheit eines Menschen mit dem Rechtsgut des Tierschutzes bzw.
der allgemeinen Handlungsfreiheit oder des Eigentumsschutzes aus
dem Grundgesetz ergibt, daß die Antragsteller bis zum Abschluß
des Hauptsacheverfahrens die Nachteile hinnehmen müssen, die mit
der Befolgung der in der Hundeverordnung sanktionierten Ge- und
Verbote verbunden sind. Die Nachteile liegen hier "nur
" darin, das Tier bis zum Abschluß des Klagverfahrens im
öffentlichen Raum angeleint und mit Gittermaulkorb, der auch ein
Hecheln ermöglicht, ausgeführt werden muß.
Diese
Beurteilung wird noch verstärkt durch den Umstand, daß die
Antragsteller der für sie in der Hundeverordnung vorgesehenen
Möglichkeit der Erlaubniserteilung zum Halten eines
gefährlichen Hundes nach § 1 Abs. 1 Hundeverordnung gemäß §
2 Hundeverordnung noch gar nicht näher getreten sind. Die
Antragsteller haben bisher den Erlaubnisantrag zum Halten ihrer
Hunde bei der Antragsgegnerin nicht gestellt. Dem steht
auch nicht entgegen, daß die in § 1 1 Abs. 2 Hundeverordnung
genannte Frist bis zum 28. November 2000 die Erlaubnis nach
§ 2 Hundeverordnung zu beantragen, inzwischen abgelaufen ist.
Die Antragsgegnerin hat auf Nachfrage durch das Gericht bekundet,
daß auch später gestellte Anträge noch inhaltlich bearbeitet
würden.
Gleiches
gilt für die Pflicht, an der Wohnung der Antragsteller ein
Warnschild anzubringen, welches auf den gefährlichen Hund
hinweist. Auch hier gilt, das bei der Abwägung der
betroffenen Güter, einerseits sich als Halter eines Hundes der
Kategorie 1 erkennbar zu machen gegenüber dem Bedürfnis der
Bevölkerung auf die Hunde der Kategorie 1 rechtzeitig
hingewiesen zu werden, die Interessen der Antragsteller
zurückstehen müssen.
Im
Hinblick auf die für die Antragstellerin zu 1) beim
Erlaubnisantrag entstehende Pflicht, ihren Hund zu sterilisieren
bzw. zu kastrieren wird angemerkt, daß die Antragsgegnerin auf
entsprechende Anfrage durch das Gericht erklärt hat, das
Sterilisationserfordernis würde in jedem Einzelfall geprüft.
Sollten individuelle Momente dargelegt und nachgewiesen werden,
die eine Gesundheitsschädigung beim Hund befürchten lassen,
wird die Erlaubnispflicht von der Sterilisation nicht abhängig
gemacht. Überdies können die Antragsteller, sollte die
Antragsgegnerin bis
zur
Entscheidung in der Hauptsache eine entsprechende belastende
Verfügung gegen die Antragsteller erlassen, erneut um
gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Abayan
Büschgens
Dr. Jakisch