Lisa
ist tot
Hamburg,
im Juli 2001
Zwei
Tiere im Lokstedter Feldhoopstücken waren den Anwohnern,
Geschäftsleuten und Parkbesuchern besonders ans Herz gewachsen:
der Tiger (eine rote Hauskatze), der seinem Herrchen, Klaus B.
und anderen Spaziergängern folgte wie ein Hund. Und Lisa
(Bulldog/Boxer Hündin), die so anhänglich und verspielt war wie
eine Katze. Die beiden verstehen sich so gut, dass sie
Freitagnacht zusammen in der Wohnung von Tiger bleiben, während
die beiden Besitzer, Klaus und Dennis B. einer Einladung folgen.
Denn die noch kleine Lisa ist nicht gern allein. Genau deshalb
fängt sie irgendwann an zu bellen, zu wimmern.
Eine
unbekannte Dame ruft die Polizei wegen Ruhestörung. Klaus B.
hatte wie immer kleine Lampen an- und das Fenster aufgemacht, da
die Tiere sich so am wohlsten fühlten und abwechselnd und
gemeinsam auf der Heizung saßen und herausguckten. Ihr
Verhängnis. Einer der Polizisten kommt auf die Idee, ein Mensch
in der Wohnung brauche Hilfe. Die Feuerwehr öffnet die Tür.
Eine falsche Idee gebiert die nächste: die unerfahrenen
Polizisten halten die kleine Hündin für einen
gefährlichen Kampfhund.
Nachbarn
werden nicht befragt. Die Tür wird nicht wieder geschlossen. Die
Polizei ruft keinen Hundeführer oder Fachkundigen. Es wird nicht
versucht Klaus B. oder Dennis B. anzurufen. Der Hündin werden
weder Leckerli noch Spielzeug angeboten.
Sämtliche
Menschen, die den Hund kennen, folgern aus den Angaben der
Polizei, den deutlichen Tatortspuren und dem Leben von Lisa:
Lisa
springt herum und bellt, endlich geht die Tür auf. Die
Polizisten erschrecken sich. Sie trauen sich nicht vorbei, weil
Lisa sie zuerst begrüßen will. Dann muss die aktuelle
Kampfhundepanik die Beamten überkommen haben: Es wird durch den
Türspalt geschossen, um die Ecke. Die Hündin weicht zurück,
blutend, ein weiteres Geschoss in der Küche, Lisa rettet sich
ins Wohnzimmer (sie hatte nie gelernt sich zu wehren, wurde nicht
geschlagen und spielte mit anderen Hunden weiter, selbst wenn sie
gebissen wurde), hinter ihr eine Kot- und Blutspur. Sie hüpft
auf das Sofa von Tiger, von dort auf ihren Lieblingssessel, dort
verliert sie viel Blut (auch hier findet sich eine Patronenhülse
9x19mm), wird weitergetrieben ins Schlafzimmer und flüchtet sich
kurz aufs Bett.
Inzwischen
ist eines längst klar: hier braucht kein Mensch Hilfe. Nur Lisa.
Zurück ins Wohnzimmer kann Lisa nicht, und die Tür zum Flur ist
zu. Aber selbst jetzt nehmen sich die Ordnungshüter nicht
zurück. Ein Polizist schießt durch die geschlossene Tür. Für
den Mischling bleibt nur der Sprung aus dem zweiten Stock.
Schwerverletzt und blutüberströmt versucht sie ihren Tötern
doch noch zu entkommen. Kreuz und quer durch Lokstedt. Es fallen
weitere 6-7 Schüsse. Am Ende noch ein Versuch mit der Schlinge,
denn die Presse ist jetzt da. Dann wird Lisa tot geschossen.
Tiger hat überlebt, wenn auch taub und unter Schock.
Spurenbeseitigung.
Zettel an die Tür: der Hund sei bei der Wache Troplowitzstraße.
Dort die lapidare Auskunft: Wir mussten Ihren Hund erschießen.
Dennis B. zwischen Trauer und Schock: er findet erst am Sonntag
Kraft und Klarheit, seine Familie zu informieren.
Von
der Polizeiwache bis dahin kein Interesse am Hundehalter. Es
heißt: Kommen Sie Sonntag, da sei die Schicht wieder im Dienst.
Sonntag die Abfuhr: vielleicht seien die Kollegen Montag willens
zu einem Wortwechsel der Menschlichkeit und des Verzeihens.
Montag heißt es: wir rufen zurück ...
Mit
Lisa hat es gewiss eine Unschuldige getroffen. Die unbekannten
Polizisten schweigen und tragen weiter ihre Waffen.
Seit
gestern ist die Beschwerdestelle der Innenbehörde und die Kripo
mit dem Verhalten der Bediensteten und dem Revierführer der
Wache Troplowitzstraße beschäftigt.
Desweiteren
ermittelt das Dezernat interne Ermittlungen mit Strafanträgen
wegen Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Tötung von
Wirbeltieren.
Neben
vielen Anwohnern, Geschäftsleuten und Ärzten haben sich nun
auch der Vorsitzende der kritischen Polizisten und Abgeordnete
der hamburgischen Bürgerschaft eingeschaltet.
Oliver
Simon, Freier Journalist