RAe. Günther ∙ Heidel ∙ Wollenteit ∙ Hack
Postfach 130473 ∙ 20104 Hamburg
Günther
∙
Heidel ∙ Wollenteit ∙ Hack
Rechtsanwälte
04.01.2001 00/1184V/H/ja Sekretariat: Frau Andersch Tel.: 040-278494-16 |
Verwaltungsgericht Hamburg Nagelsweg 37 20097 Hamburg vorab per Telefax:
42854-4171 |
in der
Verwaltungsrechtssache
der/des
1.
Hamburg
2.
Hamburg
3.
Hamburg
Antragsteller/innen
Prozeßbevollmächtigte: RAe. Günther, Heidel. Dr.
Wollenteit, Hack,
Mittelweg 150, 20148
Hamburg
g e g e n
die
Freie und Hansestadt Hamburg, vertr. d. d. Behörde für Arbeit,
Gesundheit und Soziales, Hamburger Straße 47, 22083 Hamburg
Antragsgegnerin
beantragen wir,
die Beschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Hamburg vom
12.12.2000, Az: 5 VG 4624/00, zugestellt am 21.12.2000, zuzulassen.
I.
Begründung:
Die Antragsteller zu 2. und 3. haben inzwischen eine
Haltungsgenehmigung für ihr Tier bekommen. Bezüglich des Antrages zu 1. besteht
für die Antragsteller zu 2. und 3. deshalb kein Anordnungsgrund mehr, so daß
insoweit
die
Hauptsache für erledigt erklärt wird.
II.
Mit Schriftsatz vom 30.11.2000 haben die Antragsteller
angekündigt, im Hinblick auf die zwischenzeitlich vorgelegte Klageerwiderung in
dem Hauptsacheverfahren ergänzend noch einmal im Zusammenhang vorzutragen und
hierbei noch weitere Unterlagen vorzulegen. Leider hat das Erstgericht den
weiteren Vortrag der Antragsteller nicht abgewartet, sondern bereits am
12.12.2000 die Anträge ablehnend beschieden.
Der Unterzeichnende hatte am 21.11.2000 mit der
Berichterstatterin telefonisch Kontakt aufgenommen, um abzuklären, ob noch mit
einer Entscheidung des Gerichts vor Ablauf der Anmeldefrist (28.11.2000)
gerechnet werden könne. Nachdem dies definitiv verneint und zwischenzeitlich die
Klageerwiderung zu dem Hauptsacheverfahren vorgelegt worden war, hat der
Unterzeichnende den Antragstellern empfohlen, unverzüglich einen
Erlaubnisantrag zu stellen und zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal
vertiefend im Eilverfahren vorzutragen.
Die Antragsteller haben allesamt Erlaubnisanträge
fristgerecht gestellt. Der Erlaubnisantrag für die Antragsteller zu 2. und 3.
ist inzwischen positiv beschieden worden.
Für die Antragstellerin zu 1. liegt keine Genehmigung
vor. Da die Antragstellerin zu 1. ihr Tier nicht sterilisiert hat, kann die
Antragstellerin zu 1. auch nicht mit einer Genehmigungserteilung rechnen.
Beide Tiere haben im übrigen einen Wesenstest abgelegt.
Wir hatten bereits das Gutachten für die Antragsteller zu 2. und 3. in dem Hauptsacheverfahren
zur Akte gereicht. Ich überreiche das Gutachten für die American Pit-Bull
Hündin der Antragstellerin zu 1. als
sowie der guten Ordnung halber noch einmal das Gutachten
bezüglich des American Staffordshire-Terriers der Antragsteller zu 2. und 3.
als
Anlage
Ast 7.
Wie sich den beiden Gutachten über die Gefährlichkeit
der Tiere entnehmen läßt, verfügen sämtliche Antragsteller über sehr gute
Sachkunde. Beide Tiere weisen darüber hinaus keinerlei gesteigertes aggressives
Verhalten auf.
Sämtliche Antragsteller bieten darüber hinaus der
Antragsgegnerin den Abschluß nachstehender Vereinbarung an:
Die Antragsteller verpflichten sich, bis zur
Entscheidung in der Hauptsache,
-
jede Änderung in den Haltungsbedingungen unverzüglich
anzuzeigen.
-
in regelmäßigen Abständen ihre Hunde einem Amtsveterinär
oder einem bestellten Sachverständigen vorzuführen.
Aus Sicht der Antragsteller käme es auch in Betracht,
den Leinen- und Maulkorbzwang partiell für Bereiche außerhalb besiedelter
Gebiete aufzuheben. Dies wäre für alle Kategorie I–Hundehalter/innen eine
weniger einschneidende Maßnahme als ein genereller Leinen- und Maulkorbzwang.
Wie noch im Einzelnen nachstehend ausgeführt wird, hat der generelle Leinen-
und Maulkorbzwang für die Hundehaltung, aber auch für die Hundehalter
verheerende Wirkung. Die vom Hamburgischen Verwaltungsgericht zu Recht
beanstandete Kampfhundeverordnung vom 04.06.1991 hat einen Maulkorbzwang
lediglich für “Kampfhunde” vorgesehen, die sich als bissig erwiesen hatten
(vgl. § 3 Abs. 2 der HundeVO vom 04.06.1991, HmbGVOBl 1991, 235). Von der Anleinpflicht konnte im übrigen dispensiert werden (§ 3 Abs2 Satz 3 der HVO von
1991). Auch von dem Warnschildgebot konnte dispensiert werden (§3 Abs. 3).
III.
Der Verlauf des bisherigen Verfahrens gibt weiterhin
Anlaß zu folgender Vorbemerkung:
Sowohl die angegriffene Entscheidung als auch die im
Rahmen dieses Verfahrens mitgeteilte Entscheidung der 3. Kammer (3 VG 4158/00)
legen die Kontrollbefugnisse der Gerichte sehr restriktiv aus. In beiden
Entscheidungen wird hierfür Rechtsprechung in Bezug genommen, die nach
Auffassung der Antragsteller nicht einschlägig ist. Die in Bezug genommene Entscheidung
des Bundesverfassungsgericht vom 09.09.1999 (2 BvR 1646/98) basiert auf einem Antrag
nach § 32 BVerfGG, mit dem die am 29.04.1998 in Kraft getretenen Regelungen des
Energiewirtschaftsgesetzes außer Vollzug gesetzt werden sollten. Es ist
nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß es vorliegend nicht um die “Außervollzugsetzung”
einer gesetzlichen Regelung geht. Vorliegend geht es bei den Vorschriften der
Hundeverordnung um untergesetzliche Rechtsvorschriften, für die die in § 32
BVerfGG niedergelegten Maßstäbe sowie die hierzu ergangene
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht anzusetzen sind. Deshalb hilft
auch nicht die Bezugnahme auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom
24.06.1997 (E 96, 120 ff) weiter, mit dem das Bayerrische
Schwangerenhilfeergänzungsgesetz vom 09.08.1996 teilweise außer Vollzug gesetzt
wurde.
Die weiteren in Bezug genommenen Entscheidungen
behandeln die Zulässigkeit der “Vorwegnahme der Hauptsache” in Verfahren nach §
123 VwGO. Der dabei rezipierte Prüfungsmaßstab gilt jedoch nur für sogenannte
”Vornahmesachen”, d. h. für Fälle, in denen ein Antragsteller die Unterlassung
oder Ablehnung einer beantragten Amtshandlung angreift und zur Überbrückung
eine vorläufige Regelung begehrt (vgl. etwa BVerfGE 46, 166, 178). In dem
Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.1997 (11 VR 3/97) ging es um
die gerichtliche Durchsetzung eines Akteneinsichtsbegehrens, mithin ebenfalls
um die “Vornahme” einer Amtshandlung, die die Hauptsache vorweg genommen hätte.
Das LSG Niedersachsen hat schließlich in einer “Vornahmesache” die Fortgeltung
eines Schiedsspruchs im Wege einer einstweiligen Anordnung angeordnet, weil
sonst im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ein regelungsloser Zustand
eingetreten wäre.
Die Antragsteller sind der Auffassung, daß zentrale
Vorschriften der Hamburger Hundeverordnung nicht mit geltendem Verfassungsrecht
sowie dem Tierschutzrecht im Einklang stehen. Sie begehren nicht die Vornahme
etwaiger Amtshandlungen, auch wenn sie rein vorsorglich - weil die Handhabung
der Hamburger Hundeverordnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig unkalkulierbar
ist - Erlaubnisanträge gestellt haben. Die Hauptsache wird durch eine
vorläufige Entscheidung vorliegend nicht vorweggenommen. Ob eine
Erlaubnispflicht besteht, ob Leinen- und Maulkorbzwang bzw. eine
Sterilisationsverpflichtung bestehen, könnte in der Hauptsache sehr wohl zum
Nachteil der Antragsteller geklärt werden. Es entsteht hier keine Vorwegnahme
im Sinne einer “Befriedigungswirkung” o.ä.(vgl. ähnlich HessStGH NVwZ 1991,
561, 562).
Der Hamburger Gesetzgeber hat, entgegen der Praxis in
anderen Bundesländern, für Verordnungen der hier vorliegenden Art nicht die Möglichkeit
einer Normenkontrollklage nach § 47 VwGO eröffnet. In § 47 VwGO ist die
Außervollzugsetzung von untergesetzlichen Rechtsvorschriften in § 47 Abs. 6
VwGO ausdrücklich normiert. Danach kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung
erlassen werden, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen
wichtigen Gründen dringend geboten ist. Auf Grundlage dieser Vorschrift haben
bereits drei Oberverwaltungsgerichte in Deutschland Vorschriften von
Hundeverordnungen, die deutlich liberaler als die Hamburger
Hundeverordnung ausgefallen sind, außer
Vollzug gesetzt. Dies gilt insbesondere für “irreversible” Forderungen des Verordnungsgebers,
wozu insbesondere die Sterilisationspflicht zählt (vgl. VGH Hessen, Beschluß
vom 08.09.2000, 11 NG 2500/00). Kürzlich hat auch das OVG Brandenburg die Sterilisationspflicht
im Rahmen eines Antrages nach § 47 Abs. 6 VwGO außer Vollzug gesetzt (Beschluß
vom 20.10.2000 4 B 155/00. NE). Auch das OVG Bremen hat beachtliche Kritik an
der liberaleren Bremer Regelung geübt (NordÖR 2000, 474 ff) und die Verordnung
teilweise außer Vollzug gesetzt.
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß nach ganz
herrschender und zutreffender Auffassung der Prüfungsmaßstab des § 47 Abs. 6
VwGO strenger ist, als der des § 123 VwGO (herrschende Meinung vgl. etwa Kopp-Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung 11.
Auflage, § 47, Rn. 104 m. w. N.). Der Hamburger Gesetzgeber hat darauf
verzichtet, untergesetzliche Vorschriften der hier vorliegenden Art der
Möglichkeit einer prinzipalen Rechtskontrolle nach § 47 VwGO auszusetzen, was
den Rechtsschutz für Betroffene insofern
erschwert, als lediglich Einzelfallentscheidungen gerichtlich erzwungen
werden können, die keine Rechtswirkungen über den Kreis der unmittelbar
Beteiligten hinaus entfalten. Die Kehrseite dieses Rechtsschutzdefizits liegt
darin, daß für Verwaltungsgerichte bei der “Nichtanwendung” von untergesetzlichem
Recht keine Bindung an den strengen Maßstab des § 47 Abs. 6 VwGO besteht.
Instruktiv ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 16.05.1995, mit der eine Bayrische Schulordnung,
die die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen
vorschrieb, suspendiert wurde. Das Eilverfahren richtete sich gegen eine
obergerichtliche Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, mit der
der Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf Grundlage von § 123 VwGO abgelehnt
wurde. Das Verfassungsgericht führt hierzu unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 4
folgendes aus:
“Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung
und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz
(...). So sind die Fachgerichte etwa bei der Auslegung und Anwendung des § 123
VwGO gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller
eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten
droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden
kann, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe
entgegenstehen.” (a.a.O., 93, 1, 14).
Auch das Hamburgische
Oberverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung vom 23.06.1980 die
Rechtswirkung einer Vorordnung auf Grundlage von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO suspendiert (HmbJVBl 1980, 178 ff). Zwar
stellt dieser Beschluß auch auf die
Abwehr schwerer Nachteile oder einen anderen wichtigen Grund ab. Das Gericht
nimmt das Vorliegen dieser Voraussetzungen jedoch bereits dann an, wenn die
streitgegenständliche Verordnung bei überschlägiger Betrachtungsweise nichtig
erscheint und hierdurch der Antragsteller in seinen Grundrechten verletzt
wird.
IV.
1.
Die Beschwerde ist nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO zuzulassen.
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung.
a)
Zunächst bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit
der Entscheidung deshalb, weil das Erstgericht einen unzulässig strengen Prüfungsmaßstab
zugrunde gelegt hat. Die einzelfallbezogene Suspendierung derjenigen Teile der
Hamburgischen Hundeverordnung, die von den Antragstellern begehrt wird, enthält
keine Vorwegnahme der Hauptsache. Es wird auf die vorstehenden Ausführungen
verwiesen. Auch ist es nicht gerechtfertigt, bei der Rechtskontrolle die
Maßstäbe des § 32 BVerfGG oder des § 47 Abs. 6 VwGO anzulegen, da vorliegend
untergesetzliches Recht zur Disposition steht und der Hamburgische Gesetzgeber
für Vorschriften der hier vorliegenden Art keine Normenkontrollkompetenz des
OVGs nach § 47 VwGO statuiert hat.
Wie bei sonstigen einstweiligen Anordnungen kommt es
deshalb auch vorliegend auf die Frage an, ob bei summarischer Prüfung die überwiegende
Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruches vorliegt und ein
Anordnungsgrund besteht, d. h. vorliegend die vorläufige Feststellung
erforderlich ist, um wesentliche Nachteile für die Antragsteller abzuwenden.
b)
Es bestehen auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit
der erstinstanzlichen Entscheidung, weil das Erstgericht offenkundig dieses Prüfungsprogramm
des § 123 VwGO verkannt hat, wenn das Erstgericht ausführt, bei einer Abwägung
zwischen dem Interesse der Antragsteller sowie dem Interesse der Bevölkerung,
vor gefährlichen Hunden bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache geschützt
zu werden, sei dem Interesse der Bevölkerung Vorrang zu geben. Nach ganz
herrschender Meinung ist für eine Interessenabwägung bei Vorliegen eines Anordnungsanspruches sowie eines
glaubhaftgemachten Anordnungsgrundes,
grundsätzlich kein Raum (vgl. für viele Kopp-Schenke, VwGO, 11. Auflage § 123,
Rn. 23).
c)
Das Gericht argumentiert darüber hinaus mehrfach deshalb
fehlerhaft, weil es die weitere angekündigte Stellungnahme der Antragsteller
nicht abgewartet hat und deshalb zu Lasten der Antragsteller annimmt, diese
seien der Möglichkeit einer Erlaubniserteilung zum Halten eines gefährlichen
Hundes nach § 1 Abs. 1 der HundeVO gem. § 2 der HundeVO noch gar nicht näher
getreten. Wie sich bereits aus dem Vorstehenden ergibt, ist diese Überlegung
des Gerichts unzutreffend. Sämtliche Antragsteller haben innerhalb der Frist
eine Erlaubnis beantragt. Dies ändert aber insbesondere für die Antragstellerin zu 1. nichts daran, daß ihr
aus Rechtsgründen keine Erlaubnis erteilt werden kann. Wenn im letzten Absatz
der Entscheidung ausgeführt wird, daß in jedem Einzelfall das
Sterilisationserfordernis geprüft wird, kann dies nur erstaunen. Eine solche
Einzelfallprüfung ist explizit im Gesetz nicht vorgesehen.
Die Antragstellerin zu 1. hat sich darüber hinaus nicht
auf “individuelle Momente” berufen, die sie dem Sterilisationserfordernis
entgegenhält, sondern hat allgemein ausgeführt, daß die Sterilisation einer
weiblichen Hündin einen schwerwiegenden, insbesondere auch einen irreversiblen
Eingriff darstellt, der mit dauerhaften Gesundheitsfolgen verbunden sein kann.
Dies gilt für das Tier der Antragstellerin ebenso wie für jedes andere Tier.
Über die Problematik der Sterilisierung von Hündinnen
wird vielfach in der veterinärmedizinischen Literatur berichtet (Ruckstuhl, R.,
Die Incontinentia Urinae als Spätfolge der Kastration, Schweizer Archiv für
Tierheilkunde 120, 143 ff, 1978). Ich überreiche ferner eine weitere
Veröffentlichung aus dem Jahre 1989 als
die sich ebenfalls mit dem Problem der Inkontinenz
befaßt.
Dieser Veröffentlichung läßt sich entnehmen, daß
Inkontinenz eine häufige Folge bei kastrierten Hunden ist. Insbesondere bei
Terrierarten, wozu etwa auch der Boxer gehört, ist die Inkontinenzrate relativ
hoch (bei Boxern z. B. 65 %).
Die Behandlung dieser Inkontinenz ist medizinisch
aufwendig und mit einer Vielzahl von Fragezeichen verbunden. Die
Medikamententherapie wird zum Teil wegen angeblicher arterieller
Blutdrucksteigerungen abgelehnt; zum Teil wurde aber auch festgestellt, daß es
zu einem signifikanten Blutdruckabfall kommt (im Einzelnen
Hensel/Binder/Arnold, Kleintierpraxis 2000, 617 ff m.w.N.). Im übrigen ist
allgemein bekannt, daß es in Folge von Kastrationen bei Hunden zu
Verhaltensänderungen kommen kann, u. a. bei Hündinnen auch zu Aggressionssteigerungen.
Bei einem Kollektiv von 47 Hündinnen kam es bei zehn erst nach der Kastration
zum Auftreten unerwünschter Aggressivität (vgl. im Einzelnen
Heidenberger/Unshelm, Tierärztliche Praxis 18, 69 ff (1990)).
Aus Vorstehendem ergib sich, daß die Kastration eines
Tieres grundsätzlich ein außerordentlich schwerwiegender Eingriff ist. Aus
diesem Grund lehnt die Antragstellerin zu 1. die Kastration ihrer Hündin ab.
Nach der Hamburger Rechtslage kann sie die Erlaubnis zur Haltung eines
“gefährlichen Hundes” jedoch nur dann erhalten, wenn sie ihr Tier kastrieren
läßt.
Nun hat die Antragstellerin durch Vorlage des Gutachtens
über den Wesens-
tests den Nachweis geführt, daß ihr Tier nicht
gefährlich ist. Auf diesem Hintergrund erscheint es evident unverhältnismäßig,
einen derart schwerwiegenden Eingriff der Antragstellerin zu 1. abzuverlangen.
Es fällt auch ausgesprochen schwer, diese Forderung im
Einklang mit § 6 TierSchG zu bringen, wonach das vollständige oder teilweise Amputieren
von Körperteilen verboten ist. § 6 TierSchG läßt eine Kastration nur auf
Grundlage enger Indikationen zu, die vorliegend nicht gegeben sind. Bei Heidenberger/Unshelm,
Verhaltensänderung von Hunden nach Kastration, a. a. O. heißt es diesbezüglich:
“Nach dem am 01.01.1987 in Kraft getretenen deutschen Tierschutzgesetz
§ 6 (1) “... ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen
oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder
Geweben eines Wirbeltieres” verboten. Dies gilt u. a. nicht wenn “der Eingriff
im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation geboten ist ... für die vorgesehene
Nutzung des Tieres ... unerläßlich ist und tierärztliche Bedenken nicht
entgegenstehen.” (...). Auch die Kastration darf als eine Entfernung von
Organgen nur dann vorgenommen werden,
wenn ihr keine medizinischen Bedenken entgegenstehen. Ein vermehrtes auftreten
von Adipositas (...) und Harninkontinenz (...) kann aber auch bei kastrierten
Hunden nachgewiesen werden.” (S. 74)
Nach all dem kann kein ernsthafter Zweifel daran
bestehen, daß es sich bei der geforderten Sterilisation/Kastration um einen
sehr schwerwiegenden Eingriff handelt, der nur unter strikter Beachtung des § 6
TierSchG zulässig sein kann. Im Rahmen einer Regelung der abstrakten
Gefahrenabwehr generell die Sterilisierung sämtlicher Exemplare ganzer Rassen
vorzuschreiben, steht ersichtlich nicht im Einklang mit § 6 TierSchG, der
allenfalls einzelfallbezogenen Eingriffe ermöglicht.
d)
Ernstlich Zweifel bestehen auch an der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung gegen die Ablehnung des Eilantrages zu 2.
Das Erstgericht hat den Eilantrag diesbezüglich im
wesentlichen auf dem Hintergrund des bereits vorstehend kritisierten
“Abwägungsansatzes” mit der Begründung abgelehnt, die Nachteile lägen hier
“nur” darin, daß das Tier bis zum Abschluß des Klageverfahrens im öffentlichen
Raum angeleint und mit Gittermaulkorb ausgeführt werden müßte. Dem gegenüber
stehe eine “statistisch belegte Erkenntnis, daß Hunde bestimmter Rassen mit
wachsender Tendenz in den letzten Jahren häufiger als Hunde anderer Rassen
dadurch aufgefallen (seien), daß sie Menschen angefallen und dabei
gesundheitlich z. T. schwer verletzt bzw. im Einzelfall sogar getötet (hätten)”
(S. 7 der Beschlußausfertigung).
Gegen diese Argumentation bestehen durchgreifende
Bedenken. Der Maulkorb- und Leinenzwang wird von nahezu allen Fachleuten nachdrücklich
abgelehnt (aa). Im übrigen gibt es aber auch keine “statistisch belegte
Erkenntnis”, daß die von den Antragstellern gehaltenen Hunderassen in den
letzten Jahren häufiger als Hunde anderer Rassen aufgefallen sind (bb).
aa)
Ein generelle Leinen- und Maulkorbzwang wird von allen
Fachleuten abgelehnt.
Die anerkannte Ethologin und Fachtierärztin für
Verhaltenskunde Dr. Feddersen-Petersen, hat einen generellen Leinenzwang als
schweren Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gewertet. Frau Feddersen-Petersen
kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß unter angeleinten Hunden
ausgeprägtere Aggressionen zu beobachten seien. Es komme zu einem sozialen Erfahrungsentzug
der als Folge dann wirklich bissige Hunde erzeugen könne. Der generelle
Leinenzwang schafft deshalb nicht mehr Sicherheit. Er erreiche genau das
Gegenteil (vgl. Feddersen-Petersen, Ein schwerer Verstoß gegen das
Tierschutzgesetz, in: Interessengemeinschaft Deutscher Hundehalter e. V.
(Hrsg.), Leinenzwang, eine Fessel für Hunde, S. 19 ff).
Die Auffassung von Frau Feddersen-Petersen wird von
einer Vielzahl von Fachleuten geteilt. Der Diplombiologie Frank in der Wieschen
stellt fest, daß unter einer generellen Anleinpflicht im erhöhten Maße
Deprivationsschäden bei Hunden zu
erwarten seien, die zu schwerwiegenden Verhaltensstörungen führen.
Prof. Unshelm von der Ludwig-Maximilian-Universität in
München geht noch weiter. Unter Bezugnahme auf Unterlagen des Deutschen
Kinderschutzbundes führt er aus, daß sich praktisch alle schweren
Unglücksfälle - auch mit tödlichem
Ausgang – entweder durch Hunde in der Familie oder durch angeleinte Tiere
ereignet hätten.
Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Herr
Wolfgang Apel, vertritt ebenfalls zutreffend die Auffassung, daß ein genereller
Leinenzwang gegen § 2 Ziff. 2 des TierSchG verstößt (Apel, Kein generellen
Leinenzwang, in: Interessengemeinschaft Deutscher Hundehalter e. V. Hrsg.,
a.a.O., 34). Es wird ferner Bezug genommen auf die bereits als Anlage Ast 4 zur
gereichte Stellungnahme von Frau Prof. Dr. Irene Stur sowie die Stellungnahme
des Tierschutzzentrums der Tierärztlichen Hochschule Hannover (Anlage Ast 5).
Maciejewski, ein anerkannter Polizeifachmann, der seit Jahren auf
Ministerialebene die Polizeiarbeit hinsichtlich kynologischer Fragen länderweit
koordiniert, hat auf einem Symposium zum Thema “100 Tage LHV NRW” am 18.11.2000
in Düsseldorf zum Thema Stellung genommen. Das Redemanuskript, welches
demnächst veröffentlicht wird, hat der Unterzeichnende anläßlich der Tagung
erhalten und wird dem Gericht als
zur Verfügung gestellt. Maciejewski lehnt, wie die
überwältigende Mehrzahl aller Fachleute, nicht nur generell Rasselisten ab. Er
hält auch einen ständigen Leinen- und Maulkorbzwang für “verhängnisvoll”.
“Ein Mangel an artgemäßer Bewegung und ein Mangel an artgemäßer Kommunikation
und Interaktion bei Hunden kann sich gefährlich auswirken”.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Auch die rechtliche
Einschätzung von Maciejewski, wonach ein genereller Leinen- und Maulkorbzwang
unverhältnismäßig ist, entspricht der Auffassung des Unterzeichnenden.
Was bisher wenig beleuchtet wurde, ist die
stigmatisierende Wirkung eines allgemeinen Leinen- und Maulkorbzwanges, den die
Antragsteller tagtäglich erfahren. Der Maulkorb ist zum Erkennungszeichen für
den “Kampfhund” geworden, der von der Regenbogenpresse, insbesondere von der
Bildzeitung, tagtäglich als “Bestie” präsentiert wird. Der erste Bürgermeister
der Antragsgegnerin wird nicht müde, wiederholt sein Unverständnis darüber zu
artikulieren, daß Menschen überhaupt solche Hunde halten. Die Wirkung dieser
Presseberichterstattung sowie der von der Politik geschürten öffentlichen
Meinung für die Antragsteller ist unerträglich. Die Antragsteller sehen sich
ständigen Anfeindungen sowie Bemerkungen, z. T. auch herabsetzender Art,
ausgesetzt.
Auf dem Hintergrund der schwerwiegenden tierschutzrechtlichen
Bedenken, der drohenden Verhaltensstörungen sowie der schwerwiegenden
Beeinträchtigung der Halter durch den generellen Leinen- und Maulkorbzwang
liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Der generelle Leinen- und Maulkorbzwang
verletzt Art. 14 sowie Art. 2 GG sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die
Antragsteller werden in ihren Grundrechten beeinträchtigt. Der Leinen- und
Maulkorbzwang wirkt nicht gefahrreduzierend, sondern gefahrverstärkend.
Dies hat, darauf wurde bereits in der Antragsschrift
hingewiesen, auch die Antragsgegnerin noch im März letzten Jahres nicht anders
gesehen. Wir überreichen schließlich noch eine Stellungnahme des
Landesbeauftragten für Tierschutz des Landes Niedersachen, der ebenfalls den
generellen Leinen- und Maulkorbzwang aus Tierschutzgründen ablehnt.
bb)
Die Entscheidung stützt sich ferner auf die Annahme, der
Erlaß der Hundeverordnung könne auf einer statistisch belegten Erkenntnis nachvollzogen
werden, nach der Hunde bestimmter Rasse mit wachsender Tendenz in den letzten
Jahren häufiger als Hunde anderer Rassen dadurch aufgefallen seien, daß sie
Menschen angefallen und dabei gesundheitlich z. T. schwer verletzt bzw. im
Einzelfall sogar getötet hätten.
Die These von der angeblichen gesteigerten Häufigkeit
von Vorfällen mit sog. Kampfhunden wird
leider, wie so oft, auch in der angefochtenen Entscheidung nicht belegt. Das
vorliegende statistischen Material gibt auch für diese These grundsätzlich
nichts her. In diesem Zusammenhang wurde bereits vielfach auf die zwei Studien
des Deutschen Städtetages hingewiesen, die die These von der besonderen
Gefährlichkeit der Kampfhunderassen nicht belegen. Im Gegenteil, wie auch der
Hamburger Senat noch im März 2000 feststellt, standen andere Rassen im Vordergrund.
Auch die weitergehende These von Caspar, die bereits in
der Antragsschrift erörtert wird, ist nirgends wissenschaftlich bewegt. Es gibt
keine Indizien dafür, daß die sog. Kampfhunderassen häufiger beißen oder
schwerere Verletzungen zufügen. Daten hierzu sind, soweit ersichtlich, nirgends
erhoben worden, so daß sich alles diesbezügliche Argumentieren auf bloße Behauptungen
reduziert. Eine Auseinandersetzung mit den bisher vorliegenden Zahlen enthält
der Beitrag “Unfälle mit gefährlichen Hunden ... und was sagen die Zahlen?”,
den wir als
zur Akte reichen. Der Beitrag ist dem (gelegentlich
etwas polemisch geratenen) Sammelband von Dieter Fleig (Hrsg.), Die große
Kampfhundelüge, 2000, entnommen. Auch eine Untersuchung von Unshelm/u.a. bestätigt
die These von der besonderen Gefährlichkeit der Kampfhunderassen nicht
(Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 1993, 381 ff). In einer interessanten
Untersuchung von Rossi-Broy, wird sogar entgegen der landläufigen Behauptung im
Zusammenhang mit der Berliner Statistik der These widersprochen, “Kampfhunde”
würden häufig gegenüber Menschen auffällig.
Rossi-Broy stellt im Jahre 1998 fest, daß die
registrierte Bißhäufigkeit bei den sog. “Kampfhunderassen” insofern das
Ergebnis verfälscht, als typische Gebrauchshunderassen sehr viel häufiger
gegenüber Menschen auffällig würden.
“Auffallend ist, daß bei Mischlingen, Deutschen Schäferhunden,
Rottweilern und Dobermännern, die Fälle, in denen Menschen verletzt oder
angesprungen wurden, dreimal zahlreicher waren, als die, in denen Hunde
verletzt wurden. Bei den einschlägigen Rassen, wie Pit-Bull,
Staffordshire-Terrier und Bullterrier ist das Verhältnis entweder 1 zu 1 oder
es überwiegen die Bisse unter Hunden.” (S. 97)
Für Hamburg ist folgendes auszuführen:
Es liegt inzwischen eine große Anfrage von Abgeordneten
der Regenbogenfraktion vor, die der Senat kürzlich beantwortet hat (Drucksache
16/5062). Wir überreichen die Antwort als
Anlage
Ast 15.
Die Antwort des Senats offenbart geradezu erschreckende
Erkenntnislücken und belegt nachhaltig, daß empirisch kein sachlicher Grund für die Verschärfung der Hamburger Hundeverordnung
angeführt werden kann. Der Antragsteller zu 3. hat die Antwort des Senats auf
die große Anfrage der Regenbogenfraktion untersucht und festgestellt, daß sie
schwerwiegende Plausibilitätsmängel aufweist, die nicht zu übersehen sind.
Wir überreichen die Auswertung dieser Antwort als
Anlage
Ast 16.
Die Behauptung einer höheren Beißhäufigkeit der
inkrimminierten Rassen basiert, wie sich der Antwort des Senats entnehmen läßt,
im wesentlichen auf einer Korrektur der Bestandszahlen, deren Plausibilität in
keiner Weise nachvollziehbar ist.
Soweit das Erstgericht darauf abstellt, daß Vorfälle im
Einzelfall auch zur Tötung von Menschen geführt haben, soll dies nicht in
Abrede gestellt werden. Zu Todesfällen in Folge “gefährlicher Hunde” ist es
jedoch bereits vielfach gekommen. Der gesamten Diskussion haftet eine
merkwürdige Irrationalität an, etwa auch wenn die Antragsgegnerin in dem
Hauptsacheverfahren perhorreszierend ausführt, die Erfahrung mit “gefährlichen
Hunden” lehre, bereits geringste Fehler bei der Einschätzung dieser Tiere
könnte Menschenleben kosten. Wohltuend heben sich demgegenüber die
Stellungnahmen von Fachleuten, etwa von Wohlfart, ab:
“Durch Hunde sterben in der Bundesrepublik Deutschland jährlich im
Schnitt fünf Menschen. Im ersten Halbjahr 1991 kamen im Straßenverkehr 3.463 Menschen
zu Tode; 36.288 wurden verletzt. Tod und Körperverletzung auf der Straße gelten
als bedauerlich aber unvermeidbare Folgen von Mobilität. Die Autos werden nicht
weniger und langsamer, sondern mehr und schneller. Für die Gesellschaft ist ein
hohes Gefährdungspotential kein absoluter Grund für Produktverbote und
–beschränkungen. Der derzeitigen Diskussion um Kampfhunde wohnt daher etwas
Irrationales inne. Sie gründet sich vor allem auf die Empörung darüber, daß in
Schadensfällen bei vordergründiger Betrachtung das Tier “Täter” und der Mensch
– oft ein Kind – “Opfer” ist. Diese Umkehrung in der Mensch-Tier-Beziehung
nimmt weitere Impulse aus allgemeinen Vorbehalten gegen Umfang und Form urbaner
Hundehaltung auf. Während die Nation in der Automobilverliebtheit
zusammenrückt, ist sie in der Hundehaltung gespalten.”
Instruktiv ist auch ein aus polizeilicher Sicht
geschriebener Artikel von Breitsamer mit dem Titel “Wenn Hunde Menschen töten –
Eine fachpolizeiliche Untersuchung für die Praxis”. In diesem 1986
veröffentlichten Artikel (Die Polizei, Heft 8, 1986, 267 ff) , den wir als
zur Akte reichen, werden 12 Fälle diskutiert, an denen
in sieben Fällen Schäferhunde beteiligt waren. Von den gegenwärtig
inkriminierten Kampfhunden taucht lediglich der Mastino Napolitano in der
Aufzählung auf. Zu der überproportionalen Beteiligung von Gebrauchshunderassen
an Tötungsereignissen äußert sich der Autor wie folgt:
“Daß die Gebrauchshunderassen und andere großrahmige Hunde an
derartigen Schadensfällen mit tödlichem Ausgang anteilsmäßig vermehrt beteiligt
sind, liegt verständlicherweise an der Größe und Kraft dieser Hunde einerseits,
aber auch an angezüchteten Leistungseigenschaften wie z. B. Mut, Härte,
Schärfe, Kampftrieb, Verteidigungsbereitschaft anderseits. Zu den
Gebrauchshunderassen zählen: Deutscher Schäferhund, Rottweiler, Dobermann,
Boxer, Riesenschnauzer, ...” (269).
Bezüglich des Deutschen Schäferhundes wird weiter
ausgeführt, daß er in der Beliebtheitsstatistik an vierter Stelle hinter Pudel,
Dackel und Mischling, als “Tathund” jedoch mit 50 % Anteilen an der Spitze stehe.
Die entscheidende weitere Verfälschung der Statistik zu
Lasten seriöser Hundehalter resultiert naheliegend aus dem unumstrittenen Sachverhalt,
daß es in der Vergangenheit die “Kampfhunderassen” waren, die auf bestimmte
unseriöse Halterkreise eine besondere Anziehungskraft ausgeübt haben. Diese
Halterkreise zeichnen sich durch fehlende Sachkunde, durch das Bedürfnis nach
der Haltung eines “Imponierhundes” sowie durch Verantwortungslosigkeit aus,
etwa indem Hunde systematisch “scharf” gemacht worden sind. Dieses Fehlverhalten
einer kleinen Gruppe von Haltern führt naheliegend zu einer Steigerung der
Auffälligkeit der inkriminierten Rassen, ohne daß hieraus zulässigerweise der
Schluß gezogen werden könnte, daß die inkriminierten Rassen aus genetischen Gründen
aggressiv vorgeprägt wären. Wenn derartig verformte und mißbrauchte Hunde
beißen, spricht darüber hinaus eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß dies
wiederholt geschieht, was weiterhin die Statistik zu Lasten der unbescholtenen
Halter verschlechtert. Dieser Effekt ist in der Literatur belegt (vgl. Unshelm/Rehm/Heidenberger,
Zum Problem der Gefährlichkeit von Hunden, Eine Untersuchung von Vorfällen mit
Hunden in einer Großstadt, Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 1993, 381).
Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Erstgerichts
zu unrecht seine Entscheidung auf die Behauptung gestützt hat, die
inkriminierten Hunderassen seien in der jüngeren Vergangenheit häufiger
auffällig geworden als andere Rassen. Für diese These gibt es keinen belastbaren
empirischen Beleg.
e)
Schließlich vermögen auch die Ausführungen des
Erstgericht zu dem Warnschildgebot nicht zu überzeugen. Bereits vorstehend
wurde darauf hingewiesen, daß von den Vorschriften der Hamburger
Hundeverordnung zu Lasten der Halter eine erhebliche stigmatisierende Wirkung
ausgeht. Die Antragsteller werden als Halter eines “gefährlichen Hundes”
öffentlich bloßgestellt, obwohl ihre Tiere, wie sich aus den vorliegenden
Gutachten ergibt, ungefährlich sind. Dies verletzt die Antragsteller in ihren
Persönlichkeitrechten (Art. 2 Abs. 1 GG).
Der hier vertretenen Auffassung hat sich auch der
Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem Einstellungsbeschluß vom 16.10.2000
angeschlossen, wenn eine zu Lasten des beklagten Hessischen Ministeriums getroffene
Kostenentscheidung wie folgt begründet wird:
“Als schwerer Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO und damit als Anordnungsgrund
hätte dabei wohl auch die diskriminierende Wirkung der in § 3 Abs. 2 KampfhundeVO
geforderte Anbringung von Warnschildern mit der Aufschrift “Vorsicht, gefährlicher
Hund” zugunsten des Antragstellers berücksichtigt werden müssen, (...)”.
2.
Die Beschwerde ist auch nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2
Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Die Rechtssache wirft erhebliche tatsächliche und
rechtliche Schwierigkeiten auf.
a)
Schwierig dürfte bereits die Frage sein, welchen
Prüfungsmaßstab im Rahmen eines Antrages nach § 123 VwGO das Gericht zugrunde
zu legen hat, wenn die Nichtanwendung untergesetzlicher Rechtsvorschriften zur
Disposition steht. Es wird diesbezüglich auf die Ausführungen unter III. Bezug
genommen.
b)
Schwierige Rechtsfragen dürften ferner sämtliche übrigen
Aspekte, die vorstehend unter 1. diskutiert worden sind, aufwerfen.
Insbesondere gilt dies für die Frage, ob der allgemeine Leinen- und
Maulkorbzwang im vorliegenden Eilverfahren suspendiert werden kann. Die rechtliche
Schwierigkeit wird etwa auch durch die Entscheidung des OVG Bremen vom
21.09.2000 (OVG 1 B 291/00) indiziert, wenn das Gericht bezüglich eines Mastino
Espanol annimmt, daß der allgemeine Maulkorb- und Leinenzwang die
Handlungsfreiheit des Antragstellers tangiert und zu vermeidbaren Leiden für
den Hund führt. Das Bremische Oberverwaltungsgericht stellt zutreffend fest,
daß die Verwendung eines Maulkorbs zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefinden
des betroffenen Hundes führt und die Möglichkeit beeinträchtigt, durch Hecheln
den notwendigen Temperaturausgleich zu erreichen. Das Niedersächsische OVG ist
ebenfalls der Auffassung der Antragsteller gefolgt, daß zu den physiologischen
Beeinträchtigungen hinzutritt, daß die längere Verwendung eines Maulkorbs im
Einzelfall zu dauerhaften Verhaltensstörungen führen kann (NdsOVG, Beschluß vom
31.08.2000 – 11 M 2876/00).
c)
Rechtlich schwierig dürften auch alle Fragen sein, die
die Antragsteller mit ihrem Antrag aufgeworfen haben und die die
Rechtsgültigkeit der Hamburger Hundeverordnung betreffen. Insbesondere dürfte
die Frage der Vereinbarkeit der Hundeverordnung mit dem Gleichheitssatz (Art. 3
Abs. 1 GG), mit dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG), mit dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie dem Tierschutzgesetz
(insbesondere §§ 2 Nr. 2, 6 TierSchG) rechtlich schwierige Fragen aufwerfen.
Hierzu wurde bereits vorstehend und in der Antragsschrift umfangreich
vorgetragen.
Zahlreich Obergerichte haben in der Vergangenheit
Rasselisten als gleichheitswidrig beanstandet. Hierauf wurde in dem, dem
Gericht bereits vorliegenden Rechtsgutachten des Unterzeichnenden hingewiesen.
Zu denselben Ergebnissen kommen Felix/Hofmann, Zur Verfassungsmäßigkeit der
Hamburgischen Hundeverordnung, NordÖR 2000, 341, 345 ff).
Rechtsanwalt
Dr. Ulrich Wollenteit