Kommentar zur Antwort des Senats auf die
Große Anfrage von REGENBOGEN – für eine neue Linke zur Hundeverordnung
(Drs. 16/5062):

Fachlich-wissenschaftliche und empirische Grundlagen der Verordnung

 

Der Senat schränkt mit der Hamburger Hundeverordnung aufgrund der pauschalen Gefährlichkeitsvermutung bestimmter Hunderassen Grundrechte aller BürgerInnen ein, die Hunde dieser Rassen halten. Darüber hinaus werden die betroffenen Menschen materiell und immateriell in hohem Maße belastet. Der Senat begründet diese Einschränkungen mit einer notwendigen Gefahrenabwehr.

Nicht nur die von dieser Verordnung Betroffenen erwarten, dass ordnungspolitische Maßnahmen gerechtfertigt, also sachlich begründet und nicht nur unverhältnismäßige Folgen staatlicher Vollzugsdefizite in Verbindung mit einschlägigen Pressekampagnen sind. Unter diesen Gesichtspunkten wird im folgenden die Antwort des Senats auf die Große Anfrage des REGENBOGENs kommentiert.

I.    Wissenschaftliche Grundlagen der Hundeverordnung

Die Hundeverordnung ist ohne Beteiligung von Sachverstand zustande gekommen. (Vgl. dazu auch den Offenen Brief der Tierärztekammer Hamburg vom 16.10.2000) Die Antwort des Senats untermauert diesen Umstand erneut.

Befragt zu neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, die den Senat bewogen haben, seine bis März 2000 eingenommene Haltung, der zufolge der Begriff gefährlicher Hund unabhängig von der Rassezugehörigkeit zu definieren ist, zu revidieren, verweist er auf „gefährliche Zuchtlinien bei bestimmten Hunderassenund bezieht sich damit offensichtlich auf eine Arbeit von Schleger aus 1983.

Insoweit baut die neue Hundeverordnung nicht auf neuere Erkenntnisse. Außerdem gibt es gefährliche Zuchtlinien innerhalb vieler Rassen, z.B. auch bei den Rassen Basset, Berner Sennenhunde, Pointer, Deutscher Schäferhund. (vgl. z.B. Schöning, Warum beißt der Hund, Deutsches Tierärzteblatt 9/2000, S904, 905) Die Hundeverordnung richtet sich aber nicht auf Zuchtlinien, sondern auf Rassen! Offenbar wird dieser Unterschied gar nicht begriffen.

Als fachliche Begründung für die Rasselisten verweist der Senat außerdem auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz, der auch die Benennung von Rassen vorgesehen habe.

Der formale Hinweis auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz – der seinerseits ebenfalls auf eine fachliche Begründung verzichtet - kann als Grundlage für die massive Beschneidung von Grundrechten nicht ausreichen!

Alle namhaften Fachleute der Tierverhaltensforschung (z.B. Feddersen-Petersen, Schöning, Stur, Ziemen) und der Zoologie (z.B. Eichelberg), der Tierärzteschaft mit allen ihren Verbänden sowie der Hundeerziehung und –ausbildung (z.B. Maciejewski) lehnen Rasseverbote zur Gefahrenabwehr nachdrücklich ab!


 

II.    Die empirische Grundlage der Hundeverordnung

1.   Die Hundeverordnung hat keine seriöse empirische Grundlage.

1.1 Die geführten Statistiken erfüllen nicht einmal im Ansatz die notwendigen Voraussetzungen, um daraus Erkenntnisse über die besondere Gefährdung der Bevölkerung durch einzelne Hunderassen ableiten zu können. Die Minimalvoraussetzungen wären:

1.   Eine eindeutige und zuverlässige Rasseidentifizierung.

2.   Vorfälle müssen in Bezug gesetzt werden zur Gesamtzahl Hunde der jeweiligen Rasse in der betreffenden Region.

3.   Die Situation muss mitberücksichtigt werden. (Vgl. Zu 1. bis 3. Hahn/Wright 1998)

4.   Es müssen Individualdaten erhoben werden. Die Zahl von Vorfällen sagt nichts über die Anzahl beteiligter Hundeindividuen.

5.   Die Daten müssen mit einem einheitlichen Instrument kompetent nach einheitlicher Systematik erhoben werden.

Diese Voraussetzungen sind für die Statistiken, auf die sich der Hamburger Senat bezieht, nicht gegeben. Er hat sie nicht geschaffen, nachdem seine vormalige, ebenfalls auf Rasselisten gründende Verordnung von 1991 gerichtlich abgewiesen wurde, und er hat sie selbst nach Inkrafttreten der neuen Verordnung nicht etabliert. (s.u.) Offenbar wird für eine verlässliche Statistik kein Bedarf gesehen. Hier wird offensichtlich nach dem Motto verfahren: „Unsere Meinung steht fest – wir lassen uns doch von Tatsachen nicht verwirren.“

Zur Antwort des Senats im einzelnen:

1.2 Die vorgetragenen Zahlen - Beißstatistik für die Jahre 1998 / 99 - sind nicht plausibel:

1.2.1 Die jeweilige Anzahl der Beißvorfälle Hund/Hund und Hund/Mensch (Seite 2 der Antwort) ergibt nicht die angegebene Summe der (Gesamt-)Vorfälle mit Hunden (1998: 274 + 154 = 428, dagegen Gesamtzahl laut Statistik: 477; 1999: 298 + 272 = 570, dagegen Gesamtzahl laut Statistik: 596)

1.2.2       Die Statistik erfasst nur die Anzahl der Beißvorfälle, nicht die Anzahl der beteiligten Hunde. Rückschlüsse über die Gefährlichkeit einzelner Rassen können daraus nicht gezogen werden und zwar aus verschiedenen Gründen:

a)   Wenn von fiktiv angenommenen 500 Kat 1 Hunden 10 gefährlich sind und pro Jahr jeweils 5 Beißvorfälle verursachen, taucht in der Statistik auf: 50 Beißvorfälle bei Kat 1. Deshalb sind aber nicht 10 % der Population Kat 1 auffällig geworden, sondern nur 2 %.
Die beiden Hunde in Wilhelmsburg z.B. waren bereits wegen mehrerer Beißvorfälle auffällig geworden! In 1998 wurde lt. Auskunft des Senats
93 mal ...  ein Leinenzwang und 20 mal ein Maulkorbzwang angeordnet. In drei Fällen wurde die Hundehaltung untersagt, in vier Fällen erfolgte die Wegnahme des Hundes. (s.u.) Es ist anzunehmen, dass die Sanktionsmaßnahmen im Einzelfall (wie z.B. im Wilhelmsburger) nicht bereits nach dem ersten Vorfall verhängt worden sind, sondern erst nach wiederholter Auffälligkeit. Insofern stellt sich die Frage, wie viele einzelne Hunde von den Sanktionen (120) betroffen waren und wie viele einzelne Hunde für die Gesamtzahl der Vorfälle (274) letztlich verantwortlich waren.
Deutlich wird jedenfalls, dass alleine die Häufigkeit von Beißvorfällen und die Häufigkeit beteiligter Hunderassen keinen Aufschluss über den Anteil auffälliger („gefährlicher“) Individuen einer Rasse oder gar der Rasse als solcher geben können.

b)   Die Anzahl der Beißvorfälle sagt nichts über deren Ursache und erlaubt daher keinen Rückschluss auf rassespezifische Gründe. Wird z.B. Rasse X in bestimmten Kreisen für Aggressionsdressur benutzt, wird die Auffälligkeit dieser Rasse steigen. Die rassespezifischen Verhaltensweisen haben sich dadurch jedoch nicht verändert. Solange Hintergründe von Beißvorfällen nicht ermittelt werden, gibt die Statistik überhaupt keine Begründung für Verbote einzelner Rassen her.

c)   Zweifel hinsichtlich der Validität der Daten bestehen auch insoweit, als die Antwort des Senats nicht deutlich macht, wie die Rassebestimmung eines Hundes für die Statistik vorgenommen wird. Unter II.10 heißt es zwar, das Veterinäramt des Bezirks überprüfe die Angaben des Hundehalters/der Hundehalterin und die Angaben im Impfausweis. Wie diese Überprüfung erfolgt - z.B. auch bei Vorfällen, in denen der Hundehalter unbekannt ist - bleibt offen. In Anbetracht der Folgen der Berichterstattung der vergangenen Jahre über sog. „Kampfhunde“ besteht Anlass zur Annahme, dass Opfer dazu neigen, einen aufgefallenen Hund als „Kampfhund“ zu bezeichnen. Zur Illustration sei auf einen Artikel in der Morgenpost vom 25.9.00 verwiesen, in dem der Geschädigte (dessen Gänse vermutlich von einem Hund gerissen wurden) wiedergegeben wird mit der Vermutung, ein großer brauner Hund sowie Terrierfußspuren seien gesehen worden, es müsse sich demnach bei dem Täter um einen Pitbull gehandelt haben.

1.2.3       Die Antwort des Senats zu II.21 – Kat I-Hunde seien bei einem Anteil von nur ca. 2 % an der Gesamtpopulation mit über 10% an Beißvorfällen beteiligt - ist vor diesem Hintergrund mehrfach unseriös, weil aus den vorliegenden Daten nicht begründbar:

a)    Wie in seiner Antwort zu V.1 und 2 ausgeführt, lässt sich die Anzahl der in Hamburg gehaltenen Hunde nicht einmal zuverlässig schätzen.

b)   Über die Anzahl der Kat 1 Hunde in Hamburg in 1998 und 1999, also vor der neuen HundeVO, kann ebenfalls nur spekuliert werden: Die behördlichen Schätzungen über die Anzahl sog. „Kampfhunde“ in der Stadt wurden laut Hamburger Abendblatt vom 23.11.00 von bisher 3000 bis 4000 auf „eher“ 2000 korrigiert. Diese „Korrektur“ stand im Zusammenhang mit den geringen Anmelde- bzw. Antragszahlen bei Steuerbehörde und Ortsämtern.

Keinen Aufschluss über die in 1998 und 1999 vorhandene Anzahl der Kat-1-Hunde in Hamburg gibt die Anzahl der Genehmigungsanträge (laut Antwort zu IX.1: 380). Aufgrund der Ankündigung des Senats, die Haltung eines Kat 1 Hundes werde nur in Ausnahmefällen genehmigt, ist davon auszugehen, dass ein Grossteil der Hundehalter/innen von einem Genehmigungsantrag abgesehen und stattdessen andere Wege beschritten haben. Unbekannt ist z.B., wie viele Hunde in andere Bundesländer abgegeben wurden bzw. mit den Halter/innen nach außerhalb Hamburgs umgezogen sind. Unbekannt ist außerdem die Zahl der ausgesetzten oder bei Tierheimen (auch außerhalb Hamburgs) abgegebenen Hunde wie auch die durch die Halter oder im Auftrag der Halter durch Tierärzte getöteten Hunde. Schließlich ist die Zahl derjenigen unbekannt, die für ihren Kat 1 Hund einfach keinen Antrag gestellt haben.

Setzt man trotz der mangelhaften Datenqualität die geschätzten Zahlen der Kategorie-I-Hunde in Relation zur vermuteten Gesamtpopulation der Hunde, so kämen für 1999 folgende Varianten in Betracht:

  Gesamtpopulation

Behördenschätzungen („Kampfhunde“) Kat 1:

Anteil Kat 1

Steueranmeldungen (30.9.00):

36.931

3.500

9,5%

Steueranmeldungen plus Dunkelziffer von geschätzten 10%:

40.624

3.500

8,6%

Diese Anteile der Kat I Hunde liegen weit über dem in der Antwort des Senats behaupteten Anteil von 2%. Selbst eine geschätzte Anzahl von 2000 Kat I Hunden ergäbe immer noch einen Anteil von über 5% an der Gesamtpopulation. Nach unserer Auffassung ist die Antwort des Senats an anderer Stelle, dass eine Schätzung nicht hinreichend zuverlässig möglich sei, glaubwürdiger.

c)        Bezeichnend ist jedenfalls, dass der Senat sich noch im März 2000 folgendermaßen äußerte: 1998 wurden den Behörden 274 Vorfälle zwischen Hunden bekannt und 154 Fälle, in denen Menschen betroffen waren. ... Beteiligt an den Vorfällen waren in erster Linie Mischlingshunde und Schäferhunde. Die Zahlen der Vorfälle und Maßnahmen zeigen, dass die Behörden wirkungsvoll tätig werden können. Die Beteiligung von sog. Kampfhunderassen steht nicht im Vordergrund. (Presseerklärung vom 14.03.2000). Nur drei Monate später dieselben Zahlen zur Begründung für ein Verbot der sog. Kampfhunderassen umzuinterpretieren, ist nicht seriös.

1.3       Schon gar keine Begründung geben die aufgeführten Statistiken für die Rassenliste der Kategorie II. Von dieser Liste tauchen insgesamt nur in 1999 zwei Rassen (Dogo Argentino und Bullmastiff) mit je zwei Vorfällen auf.

2.        Die gegenwärtig praktizierten Methoden der Datenerhebung schließen auch zukünftig eine solide Bewertung der Wirkung dieser Verordnung systematisch aus.

Die Statistik, wie sie seit In-Kraft-Treten der neuen VO geführt wird, differenziert noch weniger als bisher. (siehe II.2-5 und 12) So heißt es in der Antwort zu II.12 u. 13, dass nicht nach Rassen, sondern nach den Kategorien I bis III differenziert werde. Dies würde bedeuten, dass bei einem Beißvorfall tatsächlich gänzlich auf eine Erhebung der Rassezugehörigkeit verzichtet wird und z.B. unter Kat. III alle Hunde vom Dackel bis zur Deutschen Dogge erfasst werden.

Außerdem verzichtet die seit In-Kraft-Treten der HundeVO geführte Statistik wiederum auf Erhebungen zur Erschließung der Zusammenhänge, in denen es zu Vorfällen kommt sowie zu entstandenen Schäden. Diese Zusammenhänge wären nicht zuletzt für eine Prävention von Bedeutung (z.B. Unfall im öffentlichen Raum / im Familienzusammenhang; Verhältnis Hund-Halter, Hund angeleint – unangeleint, geschädigte Person / Tier / Sache; usw.).

Mit diesen Erhebungsmethoden wird nicht nur eine solide Bewertung der neuen Hundeverordnung hinsichtlich ihrer Wirkung zur Gefahrenreduzierung durch die Inkriminierung einzelner Hunderassen systematisch verunmöglicht. Es wird auch darauf verzichtet, Erkenntnisse für wirkungsvolle Präventivmaßnahmen zur Gefahrenabwendung zu gewinnen. Die Wirklichkeit wird also weiterhin nach kollektiven Gefühlslagen und Eindrücken je nach Opportunität definiert.

 

Interessengemeinschaft verantwortungsbewusster Hundehalter

Wolfgang Albrecht

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